Mag.

Markus Mittringer

Experte für zeitgenössische Kunst

Wege zu Diezl

Wir schreiben das Jahr 2012. Das Tafelbild. Unendliche Weiten. Sie tun es immer noch. Das letzte Bild ist nicht fest zu machen. Der Platz über dem Sofa, er hat noch immer nicht sein endgültiges Dekor gefunden. Und wird es auch nie. Und schließlich gibt es ja auch nach wie vor nicht das ideale Sitzmöbel. Viele der Unentwegten machen gute Bilder. Manche besonders gute Bilder.

Reinhard Diezl zum Beispiel:
Diffuses Licht im Nebel, Farben verlaufen oder geraten hart aneinander, gebrochen künden Reflexe von fernen Quellen, Dunkelheit legt Tiefe nahe, Weiß bricht jede reine Farbigkeit. Bisweilen tanzt ein Bürstenstrich. Manchmal formiert sich Farbe zu einem Anflug von Symbolgehalt.

Das Gegenüber „Bild“ eröffnet Weite, ohne aber Einlass zu gewähren. Arkadien ist längst kein Ort mehr, die Nebel verstellen nicht mehr den Blick auf Konkretes, keines der Turnerschen Anstandsschiffchen bemüht sich mehr, Bezug zu nehmen auf Reales. Diezl weiß, dass dort hinzukommen ohnehin nicht möglich ist, Erlösung definitiv nicht stattfindet. Deswegen liegt seiner Malerei auch gar nichts mehr daran, Versprechen abzugeben. Es bedarf auch nicht der Anstrengung, Illusion zu generieren. Die Pinselspuren sind offensichtlich. Nichts sucht die Machart zu vertuschen. Es ist, was es ist: Farbe auf Leinwand. Und dennoch, die Reduktion, das Offenlegen der Machart kratzt nicht am vermögen der Bilder, am Betrachter zu Rütteln.

Sie sind autonom in ihrer Statik. Wer will, kann sich ihnen aussetzen, einen Moment lang oder andauernd. Es kann ja doch nichts passieren. Der Sog, er saugt nicht wirklich in die Tiefe, und da des Malers Absicht sich ohnehin nicht mit jener des Beschauers trifft, ist für mögliche auftretende Erkenntnisse jeder selbst verantwortlich. Und die Ewigkeit betreffend ändert sich überhaupt nichts.

Der Stein der Weisen, er ruhe in Frieden. Dem Geheimnis, Gold zu machen, lässt sich weder technisch noch theologisch auflauern. Wer will schon heute noch der Alchemisten Schicksal teilen? Abgesehen davon, war Lauern noch nie ein taugliches Mittel, die Wahrheit zu erhaschen.

Es bleibt bei einer unüberschaubaren Vielfalt von Wahrheiten. Die Investition ins Heilsversprechen ist ein Abschreibposten. Aber gegen Lust im Moment, gegen ein bißchen Teilhabe an Ekstase, dagegen, eine Obsession zu teilen, spricht eigentlich nichts. Dass ein Ort, die Romantik festzumachen, nicht aufzufinden ist, kann Diezl nicht verwirren. Er fährt fort, sinnlich zu erfahren. Was für seine Bilder bedeutet, Grenzen ebenso bis zur Auslöschung wie zum Überborden auszureizen. Und auch noch der kleinsten Abweichung mit Aufmerksamkeit zu begegnen.

Nicht dass das alles jetzt nur auf Reinhard Diezl zutrifft. Das passt jetzt ebenso auf Herbert Brandl oder Walter Vopava. Auch die zeigen, dass, entgegen nun schon seit Jahrzehnten hartnäckig lancierter Gerüchte, längst nicht alles ausgelotet wurde, was in der vermeintlich simplen Kombination Farbe und Leinwand verborgen liegt. Vielleicht ja sind diese Maler auf der Suche nach einer zeitgemäßen Unmittelbarkeit als Gegenentwurf zur – seit der Moderne stetig anschwellenden – Kommentarbedürftigkeit der Kunstproduktion.

Dunkle Gründe werden mit lasierenden Schichten hellerer Farbe überzogen. Flecken und ausufernde Farbspuren bilden flächig wie tiefenräumlich komplex differenzierte Ordnungen aus. Partielle farbliche Einstreuungen setzen Akzente im dominierenden Übereinander getrübter Schlieren, das seinerseits Tiefe aus fein nuancierten Tonwert- und Buntartverschiebungen zieht.

Im Ansatz ist Diezls Malerei analytisch. Den Bereich des Optischen auslotend, überprüft er kombinierend, gegeneinander stellend, untereinander mischend – letztendlich sachlich abwägend – die Möglichkeit, der Farbe Intensität abzuringen.

Spektakuläre Kontraste, naheliegende Spannungsverhältnisse, ein plakativ forciertes Hell/Dunkel oder Spielereien mit den Eigenheiten unseres optischen Wahrnehmungsvermögens sind seine Sache nicht. Sein Terrain gestaltet sich aus kleinen Abweichungen und Nuancen. Bedeutung findet er in Akzidentien, wohl wissend, dass in diesen weit mehr verborgen liegt als im oft genug nur vermeintlich genialen Habitus der großen Geste.

Dass ein analytisches Verständnis für Malerei und das behutsame Einhalten einer Distanz gegenüber allem unreflektiert Subjektiven nicht zwangsläufig die Aufgabe von Sinnlichkeit bedeuten muss, führt Reinhard Diezl beeindruckend vor – und vermittelt, dass „Beschränkung“ nicht unbedingt mit puritanischer Enthaltsamkeit einhergeht, durchaus barock sein kann.

Wie der Maler es tut ist völlig unwichtig, dass er es tut offensichtlich. Das Gute Bild unterscheidet sich vom schlechten durch mehr als eine andere soziale Übereinkunft. Wodurch genau ist jetzt aber auch wieder nicht ganz klar auszumachen. Sonst hätten wir ja die endgültige Kombination gefunden. Haben wir aber nicht.

Und so werden die Maler fortfahren, dem Malen gute Bilder abzuringen. (Und: bei aller Konzeption, es bleibt doch immer ein Trial-und-Error-Verfahren). Und den Betrachtern wird auch weiterhin nichts übrig bleiben, als sich einzulassen.

Tut er das privat, ist früher oder später für ein Sofa sowieso kein Platz mehr. Was aber auch schon die einzige Frage ist,  die eine eindeutige Antwort erfährt. Allen anderen Fragen kann man bloß näherkommen. Entweder weil mit dem ganzen Schauen der eigene Referenzapparat immer größer wird, oder (und) weil man sich dann doch früher oder später genötigt sieht, sich dem Denken anderer angesichts der Leinwand anzunehmen. Die heißen dann chronologisch gesehen Platon, Aristoteles, Cicero, Horaz, Vitruv, Quintilian, Pseudo-Longinos (der hat das mit dem Erhabenen so richtig angefangen) oder – wir lassen zwischendurch immer wieder einige aus – Shaftesbury, Voltaire, Rousseau, Diderot, Baumgarten, Winckelmann, Kant, Herder, der unvermeidliche Goethe, Schleiermacher, Hegel, Schlegel, Schopenhauer und – hier anzufangen ist nicht schlecht – Karl Rosenkranz (Ästhetik des Hässlichen, 1853), Vischer, Marx Taine, Fiedler, Lukács, Bloch, Heidegger, Benjamin, Adorno, Bense …

Spätestens hier stellt sich dann die Frage ob für die Bilder noch Zeit und Platz bleibt. Hier weiß man dann schon sehr viel über Gehalt, Anmut und Würde, Einheit in der Mannigfaltigkeit, Massenkultur, Dialektik, Gefühl, Gefallen und Genuss, Kitsch und Katharsis … über das Malen selbst womöglich nicht mehr als davor.

Georg Baselitz meinte unlängst: „Ich mache ja nichts außerhalb der bestehenden Malerei. Meine Bilder kommen von Bildern: Von neuen, von alten, auch von schlechten, grotesken Bildern. Maler leben von Landschaftsbildern, nicht von Landschaften. Sie leben auch nicht von gutem Essen, sondern von gemalten Stillleben. Und: Man kann eigentlich nichts nehmen, was es nicht schon gibt. Meistens nimmt man dann die schon existierende Kunst. Das ist Stoff zum Weitermachen. Das ist der Prozess, das Denken. Das Malen ist ja das Denken.“ Und Dennis Hopper hat bemerkt: „Alles bei mir ist ein Trip – von Moment zu Moment. Ausgeschlossen zu sein hat mich immer wieder zur Kunst gebracht. Retrospektiv betrachtet ist alles eine Einladung in die Leere, ein Platz, an dem ich oft war. Zusammenhänge ergeben sich immer erst im Nachhinein.“

Auch den Betrachtern von Reinhard Diezls Bildern wird weiterhin nichts übrig bleiben, als sich einzulassen. Was nicht nur Platzprobleme, sondern auch noch ganz andere Gefahren in sich birgt. Weil dieses Einlassen nämlich weder reversibel ist, noch endlich.

Manchmal muss man da an Grillparzer denken, der müde zurückblieb, weil ihm die Zeit zu schnell voraneilte, dann aber entdeckt hat, dass die Vorhut früher oder später immer wieder auf die Nachhut trifft. Er hatte die Neugier verloren.

Natürlich kommt es bei all den mit der Zeit hereinbrechenden Vorwürfen, den Bildern, Objekten und Wortfetzen, zu Wiederholungen, aber subversive Unschärfen unterminieren notorisch das Überschreiten der Zielgeraden. Die Grenze zieht sich im Moment der Annäherung so sanft wie bestimmt zurück. Bilder beweisen nichts, sie zeitigen Folgen. Das Glück besteht darin, die auch auszubaden. Hinter dem kalkuliert gelüfteten Vorhang findet sich nichts. Ross Bleckner, auch ein guter Maler, bemerkte: „Künstler sollten nicht klagen, manchmal macht man etwas Gutes, manchmal nicht, manchmal passen Dinge in die Zeit, manchmal nicht, manchmal geht etwas rasch, manchmal langsam. Wer das nicht mag, sollte nicht Künstler sein, sondern für Microsoft arbeiten!“

Mit jedem gelungenen Bild nähert Reinhard Diezl sich dem „Wahrheitsgehalt“ (Stichwort Adorno) wieder ein Stück weit an. Das ist dann der Punkt, mit all dem weiter zu machen, weitere Lösungen zu erproben, fortzufahren. Ein Leben lang.

Mag. Markus Mittringer
Experte für zeitgenössische Kunst