Mag.

Florian Steininger

Kurator Bank Austria Kunstforum Freyung 8, A-1010 Wien

Gebürstete Reduktion

Seit geraumer Zeit hat sich Reinhard Diezl in seiner Malerei der Abstraktion verschrieben. In ihr sieht er die ideale Form für Reduktion und Konzentration. Der Gegenstand würde ihn nur vom eigentlichen Kern der Malerei ablenken und wäre für ihn ein Dorn im freien Gewebe der Pinselstriche. Dafür sind andere Medien adäquater, direkter in der Message von Gegenstand und Inhalt.

»Die Literatur kann die Szenarien besser beschreiben als ein gemaltes Bild. Das Frühstück im Grünen ist heute nicht mehr notwendig. So schön es gemalt sein mag, aber die Zeit vergeht, die Evolution zieht ihre Kreise … die Rückfälligkeiten mit dem Pinsel zu erzählen halte ich für eine Folter.« So der Maler lakonisch. Hier hört man deutlich Diezls »moderne« Gesinnung heraus, eine Haltung, die das 20. Jahrhundert in unterschiedlichen starken Strömen geprägt hat.

Begonnen mit Kupka, Kandinsky, Mondrian und Malewitsch zu Beginn und mit den Abstrakten Expressionisten zur Mitte der großen Avantgardebewegungen der Moderne. Figur war tabu, ja auf US-amerikanischer Seite im Kontext des Kalten Kriegs sowjet-propagandistisch instrumentalisiert und laut Clement Greenberg, dem geistigen Patron der New York School von Pollock, Rothko und Co., einfach nur Kitsch.

Abstraktion war die strahlende Formel für Freiheit, Innovation, Originalität und Modernität. Erwähnt sei jedoch das figurative »Nebengeleis« von Bacon bis Freud. Kunstentwicklung ist stets ein heterogenes Feld, ein Netz nach allen Richtungen gesponnen, wenn auch Politik, Gesellschaft und Markt immer wieder bestimmte Schwerpunkte setzen.

So waren auch Pollock und seine Gefolgschaft im Zeichen der ungegenständlichen Kunst die unangefochtene Siegermacht. Ihre Befreiungsschläge auf der monumentalen Leinwand lösten riesige Wellen auf der europäischen Seite des Atlantiks aus, die Wucht des Pinselhiebs und der Farbspritzer brandete in Paris oder auch in Wien – in der Grünangergasse nächst des Stephansdomes bei Prachensky, Rainer, Hollegha, Mikl und auch in anderen Ateliers etwa bei Lassnig, Oberhuber oder Staudacher.

Die Abstraktion, wenn auch nicht mehr in dieser fulminanten Vormachtstellung, zeigt sich bis in die Gegenwart als elementare Schiene der Malerei. Kurz nach dem großen Paukenschlag der Action Painter kalmierte sich die Wuchtigkeit zugunsten einer reduzierteren und konzeptuellen Ausrichtung, die schlussendlich zu asketischen Nullpunktversionen des abstrakten Bildes führte. Schwarze Übermalungen von Arnulf Rainer, Black Paintings von Ad Reinhardt, Graumalereien von Gerhard Richter, weiße Malerei von Piero Manzoni und Robert Ryman in IKB-Farbe getunkte Bilder von Yves Klein.

Minimalismus, Askese und Radikalität wandelten sich ab den 1970er-Jahren zu bunten Farbschlachten mit expressivem Verve und übertriebener Schönheit. Mit der Postmoderne im Rucksack stieg man zu sinnlichen Höhen empor, berauschte sich an der Pracht und Wildheit der Malerei, nicht nur figurativ wie bei Georg Baselitz und seinen jungwilden Gefolgsleuten, sondern auch im Ungegenständlichen, vorzugsweise bei Richter und seinen buntfarbigen Abstrakten Bildern. Nur trügt hier der Schein des ungestüm Aufbrausenden mit schwingendem Pinsel. Konzept und innerlich distanzierte Position gegenüber dem Malrausch haben Priorität. Barocker und expressionistischer geht es da wieder bei den Abstrakten in Österreich zu – bei Brandl, Scheibl, Vopava, Kappl und eben auch Diezl.

Reinhard Diezls Weg zu einer reduzierten, konzentrierten abstrakten Malerei findet seine Anfänge noch in figurativen Bildschöpfungen Ende der 1960er-Jahre. Doch schon in diesen Arbeiten lässt sich eine dezidierte Tendenz zu elementaren Fragen des Mediums erkennen.

Malerei steht nicht im Dienste der Figur, der Natur und Illusion, als Mittel des naturalistischen Effekts oder einer Narration, sondern die Figur ist mit Malerei aufgefüllt, bildet lediglich eine formale Klammer. Pinselstrich und Farbe haben gegenüber dem Motiv obsiegt. Der Arbeitsprozess – das Fließen Lassen der Farbe – bleibt im Resultat sichtbar.

Als deutliches Merkmal kristallisiert sich der Strich heraus. In den späten 1970er-Jahren formt sich die Linie merklich zur Figur. Die Bildfläche wird zum zeichnerischen Netz mit gespreizten Schenkeln. Die Linie ist aber dennoch so eigen, dass es ihr schwer fällt, organische Erotik im ursprünglich gegenständlichen Sinn aufkommen zu lassen. Auch hier zeigt sich das Bild als autonomes Medium.

In der Folge wird dann der Strich vermehrt ungegenständlich eingesetzt, als grafische Erregung auf der Bildfläche, als seismografische Spur, die den Bildraum aufblitzen lässt: informelles Kürzel, kalligrafische Fährte in der Tradition von Hans Hartung und Willem de Kooning. In den wilden 80ern werden die grafisch figurativen Markierungen auf der Fläche mit bunt-dekorativen Zonen laut aufgefüllt.

Figur zeigt sich mehr als zeichenhaftes System denn als naturalistischer Niederschlag. Erinnert sei hierbei an Picassos Spätwerk, an die kürzelhaften Aktdarstellungen mit groben Bürstungen.

Spätestens in den 2000er-Jahren ist die Figuration kein Thema für Diezl mehr: grafisch elektrisierende Markierungen, dynamische Pinselstriche dominieren das Bildfeld, manchmal verdichten sie sich zu beruhigten monochromen Flächen, zu meditativen Bildräumen. Wenn man von Figur sprechen kann, dann rein auf einer ungegenständlichen Ebene – wenn es um das rein formale Figur-Grundverhältnis geht, wenn sich eine abstrakte Form aus der Fläche herausschält, ob als Positiv- oder Negativform angelegt.

Oft treten auch mächtige Kompositionen mit malerischen Balkensystemen, vorzugsweise in Schwarz-Weiß, auf. Massiv besetzen sie den Bildraum. Ein großes Spektrum an Bildfassungen entsteht dadurch, es zeigt die Bandbreite von ungegenständlicher Malerei: laut, expressiv, grafisch oder reduziert, lyrisch malerisch.

Ebenso breit sind die Facetten in der Farbgebung, wobei sich in den Jahren immer deutlicher der Hang zu den Nichtfarben Schwarz und Weiß herauskristallisiert.

Dies ist auch aufgrund Diezls Prinzips der Reduktion und Konzentration zu verstehen. »Eigentlich verpflichtet einem Reduktion Schwarz und Weiß in den Vordergrund zu stellen. Diese Buntheit halte ich nicht für notwendig … wenig ist mehr und mehr ist oft zu viel.«

Schwarz galt vor allem bei den Malern der New York School, besonders bei Robert Motherwell und Franz Kline, als Königsfarbe, als jenes koloristische Mittel, um Kolossalität und Eindringlichkeit auf der Bildfläche auszudrücken:

»Schwarz war für die Abstrakten Expressionisten eine geheiligte Farbe, es war ihr Lapislazuli; sie umgaben es mit einem mystischen Nimbus, teils vielleicht aufgrund seiner Kargheit, teils vielleicht, weil es etwas großartig Machohaftes an sich hatte, wenn man ein ordentlich kräftiges Schwarz zustande brachte.« [i]

Diezl ist ein subtiler Chiaro-Scuro-Maler, wenn er den Hell-Dunkelkontrast mit seinen gebürsteten breiten Pinselmarkierungen erzielt.

Die aufgetragene weiße Farbe auf dem nachtschwarzen Grund wird gleißendes Licht, das das tiefe Schwarz erhellt. Ebenso geschieht es mit dem giftigen Grün, das wie die Farbe des Nachtsichtgerätes die Dunkelheit erhellt, oder das Rot, das wie Feuer die Leinwand entzündet.

Trotz aller Aufgewühltheit und Energie zeugen die Bilder von einer stillen Sprache, eben die einer konzentrierten Malerei: »Die stille Sprache ist eine sehr dichte Sprache, eine Sprache der Seele, der Innerlichkeit.« So Reinhard Diezl.

Mag. Florian Steininger

[i] David Sylvester, »Barnett Newman – II (1994)«, in: ders., About Modern Art. Critical Essay 1948-96, London 1996, S. 397, zit. nach: Stephanie Rosenthal, »Schwarz in der Kunst – Kunst in New York«, in: Black Paintings, hrsg. von ders., Ausst. Kat. Haus der Kunst, München, Ostfildern 2006, S. 11.